Sibirien

Eine Pfingstfahrt über den Gotthard Russlands

Guten Morgen, hier Sibirien! Und wenn bei euch zu Hause Morgen ist und ihr noch in den Federn liegt, dann sitze ich bereits am Mittagstisch. Die Zeitverschiebung beträgt jetzt vier Stunden. In den letzten Tagen und Wochen wusste ich zwar, wo der Minutenzeiger stand, nicht aber der Stundenzeiger. Auf meiner Karte sind die einzelnen Zeitzonen schön eingezeichnet, Russland scheint sich aber nicht daran zu halten. Städte, die weit über eine Stunde von Moskau entfernt liegen, haben immer noch die Zeit der Hauptstadt. Viele Menschen konnten mir diese Unstimmigkeit nicht erklären, und es hatte schon des Öfteren um Verwirrung gesorgt. Mehrmals hatte ich beinahe Türen eingerannt, weil ich fest der Überzeugung war, das Lokal hätte noch geöffnet. Erst kürzlich konnte mich jemand über diesen Verhalt aufklären. Ich liess mir sagen, dass viele Städte die Zeit von Moskau der Einfachheit übernehmen, beim Abstand von mehr als zwei Stunden werde es dann aber offiziell nicht mehr akzeptiert.

Asien - Das Land liegt vor meinen Füssen Europa - Der verlassene Kontinent meiner Heimat


Der Ural liegt hinter mir, und mit ihm einige hundert Höhenmeter. Er war, wie ich es mir vorgestellt habe, ein sanfter Hügelzug, ein ewig auf und ab, nicht extrem anspruchsvoll. Dafür landschaftlich sehr abwechslungsreich, die klimatischen Veränderungen etwa der Überquerung des Gotthards entsprechend.

Aufwärts - Sanfte Hügel   Abwärts - Stetig Fahrt


Am ersten Abend auf dieser Etappe wurde mir buchstäblich der neue Tarif bekanntgegeben. Ein Viergangmenü für SFr. 4.50.-, dann sah ich das Schild mit der Preisaufschrift für die Übernachtung SFr. 5.-. Ich konnte die fehlende Null nicht finden, es wäre dann noch die Hälfte von Ufa gewesen, ein kühles Bier und es war gebucht. Das preisgünstigste Motel auf meiner ganzen Reise, von Spelunke keine Spur, ein sauberes Doppelbett-Zimmer und freundliche Bedienung.

Während der Fahrt - Genuss der Aussicht   Nach der Fahrt - Erholung in Tscheljabinsk


Wie ich dann die Grenze zu Asien überschritt, ich konnte es kaum erwarten, ich habe Sibirien erreicht! Die Abfahrt war etwas vom eindrucksvollsten dieser Reise. Noch während ich durch die ersten Siedlungen dahinzog, den ersten Menschen diesseits begegnete, war es klar: Ich fahre weiter bis Novosibirsk. Tut mir leid für jene, die schon längst auf ein Foto von der Transsib warten, das dauert noch ein Weilchen. Vorausgesetzt natürlich, dass alles so gut weiterläuft wie bis anhin, denn allzu viel Zeit bleibt mir nicht mehr, am 1. Juli muss ich Russland verlassen haben, sonst bleibe ich hier auf ewig. Manchmal wäre es nicht zu verachten. Interessante Bekanntschaften, dazu das russische Wasser, serviert in 100 g Portionen erschweren oft eine Weiterfahrt. Wie heisst es doch so schön: Hundert Kilometer sind keine Entfernung, hundert Jahre kein Alter und hundert Gramm kein Wodka. Na sdarowje!

Wilde Pferde - überall und unverhofft   Gezähmte Pferde - Auf einer Gerden durchs Land


Solltet ihr einmal die Gelegenheit haben, nach Russland zu kommen, dann nehmt unbedingt ein GPS mit, wenn ihr mit dem Auto unterwegs seid. Dieses Teil hat mir schon mehrfach einen guten Dienst erwiesen. Doch es ist erstaunlich in welcher Situation. Die Städte habe ich immer gefunden, das war noch nie ein Problem. Ist man einmal unterwegs, dann kann man sich unmöglich verirren, es gibt ja nur eine Strasse. Doch aus einer Stadt herauszukommen, die Hauptstrasse zu finden, welche die nächste Grossstadt verbindet, das ist manchmal etwas schwieriger, denn es ist absolut nichts beschildert, und Quartierstrassen sind oft breiter und besser unterhalten als eine Fernverkehrsstrasse. Ufa war hier ein Paradebeispiel. Nach erfolglosem Selbstversuch, wandte ich mich zuerst an einen Passant. Doch der schien wie vor den Kopf gestossen, ist ja auch leicht zu verstehen. Als Vergleich, man frage in Bern vor dem Bundeshaus nach der richtigen Strasse nach Paris. Schlicht überfordert, ich verstand es. Danach liess ich mir von Büroangestellten ein vierseitiges Dokument verfassen, ich habe es als Souvenir noch bei mir. Ein Blick auf mein GPS zur Kontrolle, dann stand der Weiterfahrt nichts mehr im Wege.

Auf dem Weg - Lebendige Begegnungen   Neben dem Weg - Begegnung in Stein und Eisen


Russland ist ein einziges Chaos, hat mir einmal jemand gesagt, als ich ihn bat, seine Heimat zu beschreiben. Da ist vieles anders als gewohnt, anders als in der übrigen Welt. Und trotzdem funktioniert es. Alles ist möglich, nichts undenkbar. Meine Fotosammlung der Reise bis nach Moskau hat auf dem Postweg problemlos Weinfelden erreicht!

Per Wagen - Genuss der Idylle   Per Rad - Übernachtung in der Idylle


Mein nächstes Ziel ist Omsk, die zweitgrösste Stadt Sibiriens. Ich werde die gewohnte Strasse verlassen müssen, weil dieser Weg über Kasachstan führt. Da ich kein Visum für dieses Land besitze, mache ich nun einen Umweg, und benutze wieder einmal die schönen Landstrassen. Der Begriff Kasachstan löst bei vielen hier Unbehagen aus, es gibt wohl keine Sehenswürdigkeiten auf dem Weg durch die ehemaligen Republik der UdSSR.

Am Tag vor der Abreise hier in Tscheljabinsk habe ich die Karte nochmals gründlich studiert. Es gibt keinen vernünftigen Weg nach Omsk, ausser durch Kasachstan. Der Umweg von vielleicht 100 km via Nebenstrassen hätte ich problemlos hingenommen, doch diese sind grösstenteils unbefestigt, nichts anderes als Schotterpisten. Eine Zumutung für mein Bike, denn seit Moskau haben sich bereits wieder zwei Speichen verabschiedet, und das auf gutem Belag. Ich wage es also trotzdem an die Grenze, mehr als nach Hause schicken können sie mich nicht.



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