Schlag Mai, pünktlich zum Feiertag war es dann soweit: Der Frühling ist da! Es ist mir unmöglich, zu beschreiben, wie sich so vieles verändert hat, seit ich die Stadt Moskau verlassen habe, durchaus im Positiven. Die ganze Stadt war unterwegs
auf den Rädern, mit Sack und Pack, alle in meiner Richtung landeinwärts, auf der Suche nach Grün, alle total in Ferienstimmung. Ich schlängelte mich durch die unzähligen Autos, im Stau stehend, gefüllt mit erwartungsvollen und fröhlichen Menschen. Ein defektes Rad oder ein kochender Motor war kein Grund zur Panik, nur ein Signal, die Gegend einmal in Ruhe anzusehen, und eine Kaffepause zu machen. Auf der entgegengesetzten Fahrbahn war kein einziges Fahrzeug, kein Mensch, das Bild glich einer Evakuation. Ich
habe keine Ahnung, was sich tatsächlich so sehr verändert hat. Oft hatte ich das Gefühl, ich hätte etwas verpasst, den Frühlingsbeginn, eine Woche in der Stadt, und ich merke nicht, wie plötzlich alles blüht und grünt, dann die ersten Birken, und schliesslich
die Dörfer, die jetzt alle wieder der Strasse entlang vorbeiziehen. Hier ist das
gewohnte Bild verschwunden, wo sie weit abseits der Strasse gelegen sind. Hier hat man wieder Mühe zu erkennen, wo ein Dorf endet und das nächste beginnt, und hier wird gelebt und gefeiert, tagein, tagaus.
Wie in einem anderen Land. An unzähligen Strassenecken, Cafes, werde ich
angehalten und eingeladen.
Doch es ist nicht nur Frühling, denn die sommerlichen Temperaturen (zwischen 25 und 30 °C!) und die ersten Mücken abends weisen die kommende Jahreszeit.
Im Moment kann ich sie noch zählen, die Biester, doch wer weiss, wie viele Tage
diese Ruhe noch anhält, dann ist es nicht mehr auszuhalten inmitten von Schwärmen.
Birkenwälder - Bilder, die
mich von nun an begleiten werden
Typisch russisch - Ein Wohnhaus
direkt an der Strasse
Kirchen, wenn auch anders - Hier weit verbreitet und schön
Nishnij Nowgorod -
Drittgrösste Stadt Russlands an der Wolga
Noch gefällt es mir sehr, und wenn auch einigen zu Hause die Distanzen weit
erscheinen mögen, die ich täglich unter die Räder nehme, so weiss ich auch, dass
es gerade dies ist, was mich hier hält. Keine Stadt, mit noch so schönen
Sehenswürdigkeiten und Möglichkeiten mag mich lange aufhalten, warum, kann ich
nicht so genau sagen. Ich liebe eben das Land, die Bewegung, die Herausforderung. Die
Stadt gibt mir oft das Gefühl, das zu sehen und zu leben, was jederzeit möglich
ist. Orte, die man im Leben immerzu mit ein bisschen Geld erreichen kann. Doch
mit dem Velo hier zu sein, abends in freier und unberührter Natur zu kochen und
zu essen, irgendwo in der Wildnis, in der unermesslichen Grösse das Zelt
aufzuschlagen, zu liegen und weiterzuträumen, das wird so schnell nicht wieder
möglich sein.
Natürlich werde ich hier auch alleingelassen mit all meinen Gedanken und
Gefühlen, mit vielen Erlebnissen und Anstrengungen, das ist meine Reise, mein
Weg. So viele wunderbare Begegnungen mit Menschen in Freude und Armut, in
Herzlichkeit und Hoffnungslosigkeit. Vieles ist nun in meinem Herzen,
unverrückbar und unvergesslich in meiner Erinnerung. Wenn es nicht mehr
weitergeht, mich die Kraft oder die Motivation verlässt, werde ich meine Reise
beenden und zurückkehren, auch das gehört zu meinem Weg. Doch noch ist es nicht
soweit, noch scheint hier tagtäglich die Sonne mit solch einer Kraft, als wäre
sie allein für mich da.